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2019-01-08 09:39:32 +01:00

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Title: Nürnberg: Ein Wiedersehen Date: 2017-04-20 11:12 Slug: nurnberg-ein-wiedersehen Tags: nuernberg, essay

Unser erster Nachmittag in Nürnberg seit fast einem Jahr. Als letztes packten wir unsere materialisierten Erinnerungen zusammen, putzten unsere Wohnung und übergaben unsere Schlüssel. "Nürnberg" bedeutete das erste mal "von Zuhause wegziehen". Das erste mal lieben. Wir ließen es zurück um zurück zu kehren. Dorthin wo ich aufgewachsen und geboren bin. Dorthin wo ich nie wieder leben wollte. Mein Herz schien zu verstummen, als wir die Autobahn befuhren. Den Frankenschnellweg entlang und die letzten Meter im Stadtgebiet. Wir zogen in den Norden, wir zogen in ein Haus, unser Haus, und das Leben fuhr fort. Ich versuche jeden Tag mein Fernweh, und zugleich Heimweh, zu vergessen, es zu verdrängen, weit weg zuschieben, es zu entlieben. Hoffnungslos. Ich stelle mir Nürnberg vor, wie es eingefroren, unter eine Glasglocke da steht. Rund angeordnet, in der Mitte der Berg mit der Burg, ein Miniaturwunderland. Ohne mich, nicht mehr lebensfähig. Und jetzt weiß ich, Nürnberg braucht mich nicht. Es hat mich nie gebraucht. Die einzige Glasglocke ist die Glasglocke über meinem Kopf. Manchmal raubt sie mir die Luft zum atmen. Ich habe diese Stadt fast ein Jahr gemieden und hatte den utopischen, selbstheilenden, Plan nie wieder ihren Boden zu betreten. Nicht weil sie mich verletzt hat. Ich habe mich durch ihren Verlust selber verletzt. Nun war es soweit und ich wagte eine neue Annährung. Offenes Visier und mit der Gewissheit alles zu riskieren. Ein Hotel gebucht und auf die Autobahn. Als wir die Brücke der Frankenwald Raststätte unterfuhren, tanzte mein Herz. Nur noch 90 Minuten. Wir fuhren Langwasser ab. Die Ausfahrt die 5 Jahre lang "Zuhause" bedeutete. Christine sagte: "Wir können um eine Stadt genauso trauern, wie um einen Menschen". Vorbei an dem Burger King mit dem abgeschlagenen Reichsadler. Dem chinesischen Restaurant, welches uns auch nach 23 Uhr, Montags, mit Tofu versorgte. Vorbei am Bäcker, in dem wir unsere Sonntagmorgende verbrachten. Die Supermärkte die ich jeden Tag besuchte, um mich mit frischer Cola Light auszustatten. Und endlich, die Straße in der wir wohnten. Wir hielten Ausschau nach all den kleinen Veränderungen. Jede Baustelle und jedes Geschäft. Und es war wie jede andere Fahrt zuvor, vom Dutzendteich in die Innenstadt. Das Hotel liegt am Bahnhof. Dort wo wir uns das erste mal gesehen haben. Dort hat sich damals alles für mich verändert. Wir checkten ein und gingen in die Stadt. Ich hielt mich an Christines Hand fest. Ich drohte an ihr abzurutschen, wegzugleiten. Durch den Bahnhof entlang der Vitrine, ein Ausstellungsort der Kunstakademie in Nürnberg. Ich erkannte die Gesichter der Obdachlosen auf den Treppen zum K4. Die Nacht war lauwarm, die Menschen um herum liefen mit ihren Smartphones vor den Gesichtern herum. Pokemon Go.

Pegnitz

Wir hatten Hunger und sahen das Istanbul. Das beste türkische Restaurant in dem ich je gegessen habe. Nicht das ich in vielen bis jetzt war. Vorstellen konnte ich es mir doch. So gut war das Essen hier. Ich brauche mir nicht einzubilden das ich in dieser Stadt immer noch wohne. Seit ich den Bahnhof verlassen habe und meine tägliche Route in Altstadt betrat, war ich immer noch da. Würde ich nach Hause gehen wollen, würden ich die Straßenbahn Richtung Dokumentationszentrum nehmen, eine halbe Runde um den Dutzendteich laufen, die Menschen im Biergarten sehen, die Liebespaare am Ufer, die thematisch dem Reichsparteigelände angemessenen Hochzeitsfotoshootings, die Alkoholiker am Imbißstand. Dann würde ich die Haustür aufsperren, zwei Stockwerke überwinden und unseren Kater davon abhalten die Treppe Richtung Haustür hinunter zu steigen. Nun setzten uns nach draussen um die Wärme des aufgeheizten Innenstadt Asphalts zu genießen. Hummus und einen Bauernsalat, so wie immer. Mir fielen die Menschen auf die ihre Blicke nicht von den Handys lassen konnten. Türkische Nachrichten und diesmal anscheinend kein Pokemon Go. Ein Putschversuch des türkischen Militärs. Eine Nacht vorher der Terroranschlag auf eine Menschenmenge, die nur das Feuerwerk zum Nationalfeiertag bestaunen wollten. Die BILD würde titeln: "WANN ENDET ENDLICH DIESER FLUCH: Christine und Marvin verreisen". Ende letzten Jahres, als wir gerade in einem Hotel in München uns eingecheckt hatten, wir gerade noch ein Sandwich auf der anderen Straßenseite, im Ost-Bahnhof, gegessen hatten und Terroristen zeitgleich Menschen in Paris erschossen. Unser geliebtes Paris. Wir lagen die ganze Nacht wach und lauschten Deutschlandfunk, als wir erschöpft von der Fahrt, unsere Hände haltend, einschliefen. Oder im Frühling. Wir waren gerade in Paris angekommen. Beim Anziehen, um als peinlicher Tourist die Straßen der Stadt zu betreten, um von einem Leben in dieser Stadt zu träumen, hörten wir von dem Attentat in Brüssel. Nun also wurde unsere Rückkehr mit einen Militärputsch kommentiert. Wir hatten uns rausgesetzt. Ich wollte die Stadt mit ihren Menschen sehen. Ich fühlte mich unsichtbar. So wie die Menschen an uns vorbei zogen, es wirkte alles unantastbar, passiv auf mich. Wie ein Theaterstück, das nur für uns aufgeführt wurde, bei dem wir nur die Zuschauer waren und vor einem Jahr aufgehört haben Darsteller zu sein. Wir aßen unseren Hummus, den Bauernsalat mit warmen und wunderbar weichen Fladenbrot. Als wir bezahlten fragte Christine die Bedienung ob er die aktuelle Lage in der Türkei verfolgt. Er antwortete trocken "Erdogan muss sterben". Wir nahmen uns an die Hand und gingen durch die erleuchtete, freitägliche Stadt. Hinunter zur Pegnitz. Die Temperatur war wunderbar mild und die Teenager waren auf dem Weg in die Disco, oder halt dort wo junge Menschen halt so hingehen. Selbst als ich jung war, wußte ich nie wo das war. Meine Augen fielen fast zu, mein Gehirn schwer, herrenlos eingetaucht in einen See aus einer Melange aus alten Eindrücken, vergangenen Situationen, fest eingebrandt, und der Erkenntnis, das Nürnberg gleich geblieben war. Im Hotel schliefen wir zu den Live-Berichten aus Istanbul ein. Ich traute mich nicht den Fernseher auszuschalten.

Nürnberg

Der Plan war all unsere Lieblingsorte zu sehen. Natürlich schränkte sich die Liste auf einen geografischen Bereich ein. So hatten wir die Chance einiges sehen zu können. Was akribisch klingt war eine Vorsichtsmaßnahme um sich treiben lassen zu können. Die kleinen Orte und Plätze zu bereisen, die uns so am Herzen liegen. Meine Skepsis war riesig. Der Bäcker, an dem wir sonst öfters frühstückten gab es nicht mehr. Ein kleines Detail auf unserer Reise. Ein Brötchen zu essen mit dem Blick auf den Spalt der zu dem neuen Museum leitet. Wir suchten weiter und gingen leicht widerwillig in einen anderen Bäcker, in dem wir zuvor nicht sehr oft gegessen haben. Eine Prioritätenliste muss es geben, sonst spült uns unsere Nostalgie die Stadt hinunter. Und es würde nächstes mal noch schwieriger sein zu überleben. Ich schlug vor in den Buchladen des neuen Museums zu gehen. Hier verbrachten wir einst immer Stunden. Oft kauften wir nichts, da Ausstellungskataloge der finanzielle Ruin bedeuten. So bräuchte man eigentlich alle, fängt man damit an. Doch all die Bilder die wir sahen, all die wir in unseren Herzen speichern konnten, konnte uns niemand mehr eintreißen. Sie verblassen vielleicht, ordnen sich neu an, doch ihre Schönheit am Tage als wir sie sahen, bleibt für immer. Christine suchte eine Ferienlektüre, ein Buch von Focault. Ich interessierte mich für die neuen Fotografiebände und die Sonderangebote. Erstmal blieb von der Zeit in dem Laden nichts in unseren Taschen zurück. Nürnberg heizte sich weiter auf, so weiter wir zogen.

Dutzendteich IX

Christine fand ein Geburtstagsgeschenk und wir schwammen weiter und weiter. Dieser Comicladen, bei fast jeden Besuch in der Innenstadt verbrachte ich Zeit dort. Hier fühlte ich mich sehr wohl, auch wenn ich von all dem kaum etwas verstand. Ich las und durchblätterte immer das was mir gefiel. Eins meiner liebsten Bücher ist Blankets von Craig Thompson. Hätte ich Christine nie kennengelernt, würde jetzt ein Motiv aus diesem Buch meinen Körper zieren. Irgendeine monumentale Zeichnung einer Doppelseite dieses Buchses. Ich glaube ich nicht ich den Schmerz ertragen hätte, doch war ich fest davon überzeugt, dies wäre ein gutes, mit Persönlichkeit aufgeladenes erstes Tattoo. Es sollte mich daran erinnern wie hoffnungslos die Liebe ist und Vergangenheit nicht heilen kann. Diese Erlebnisse würden nie unseren Körper, durch all seine Öffnungen, verlassen können. Das Erscheinen neuer Bücher von ihm markieren immer wieder bestimmte Stellen in meiner Biografie, im Kampf gegen das erwachsen werden. Sein neustes Buch wanderte in unsere heilige Artefaktensammlung.

Die Burg

In Wolfsburg gibt es keine Plattenläden. Die Kundschaft die sich Schallplatten als Dekorationsmittel in den Wohnzimmerschrank stellt, wird gut von Media Markt und Müller versorgt. An einem Winterabend, im ersten Winter in Nürnberg, bog ich einmal falsch ab und stand in einer Straße in der sich drei Plattenläden befanden. Meine Augen und Mund öffneten sich, die Pupillen weiteten sich und das Adrenalin eines Abhängigen schoss in die Bereiche des Gehirns in dem das unstillbare Verlangen verortet war. Ein Laden hieß Music and Books. Bücher und Musik. So kann man sich mit allem vollständig umgeben was einem wichtig ist, wichtiger als vieles andere auf dieser Welt. Wir betraten das Geschäft, eher ein Tempel, und der Inhaber warf uns ein Lächeln entgegen. Wir bildeten uns ein er hätte uns wiedererkannt. Wir zogen an den neu-arrangierten Regalen entlang. Ich hasse Veränderungen. Der Inhaber hat sich ein neues System für die Unmengen an Second-Hand Ware ausgedacht. Ein System das nur für ihn einen Sinn zu machen scheint. Immer wieder hörten wir seine Versuche es den Kunden zu erklären. Er scheiterte und die Kunden schienen einfach aufzugeben. Es wäre so einem Laden unwürdig gewesen, würde es von einen System verwaltet werden, welches von Jedem verstanden werden hätte können.

Meine Beine fingen langsam an zu schmerzen. Wir gingen von einem Ende der Altstadt zum anderen Ende. Ein nicht endender Zyklus, in dem man sich zu verlieren versucht. Immer und immer wieder. Wie die vorgezeichneten meditativen Wege, die Mönche abschreiten um sich und ihre Seele zu reinigen. So vergaßen wir auf unserem Weg das Leben, das wir nun im Norden führen. Wir haben Nürnberg nie vergessen oder verlassen. Und dies gefiel mir sehr. Wir brauchten noch ein Buch um gut ausgerüstet zu sein für die Rösttrommel. Ich habe diese Kaffeerösterei, mit angeschlossenen Cafe, erst spät entdeckt. Nicht das es nur ein Cafe mit tollem Kaffee ist, es ist die Atmosphäre, der Geruch von frisch gerösteten Kaffeebohnen.Es ist perfekt. Hier verbrachten wir teilweise Stunden über einem Buch, über Notizen, Christine neben mir am zeichnen. So wollte ich immer Leben. So etwas hatte ich vorher nicht gekannt, mir nur vorstellen können. Ich trank einen Kaffee, und noch einen, nahm Pfund für Pfund mit in unsere kleine Nürnberger Wohnung. Der Kaffee war ein Versuch diese eingebildete Kreativität mit zu nehmen, sie nicht los zulassen. So schloss ich meine verkrampften Hände um diese Vorstellung. Doch nun mussten wir wieder los. Wir kamen an all möglichen kleinen Lädchen vorbei. Alle verbunden mit kleinen Geschichten oder Erlebnissen. Der Kunsthandel in dem wir fast eine kleine Beuys Zeichnung gekauft hätten (das Wort "fast" ist der Versuch eine Traumvorstellung auszuleben, in dem man zum Kunstsammler aufgestiegen sei), das Kino in dem wir regelmäßig Filme sahen, das legendäre Copy-Land, in dem wir Christines Studienzeit verbrachten, riesige Farbabzüge machten, Zulassungsarbeitsentwürfe binden ließen, uns kaum ein Weg zu weit war um dorthin zu gelangen. Der einzige Kopierladen in dem alles zu klappen schien, Charlies Schokoladenfabrik, nur mit dem Geruch von Toner und warmen, frisch bedruckten Papier. Ja, wir wussten das immer zu schätzen. Wir gingen vorbei an Restaurants über Restaurants, viele Dates zu allen Zeitpunkten unserer Liebe.

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An dem Platz an dem sonst der Christkindlesmarkt statt findet war heute ein Austragungsort einer Bio-Messe. Der Platz war aufgefüllt mit der unweigerlichen Vermengung von Esoterik und gesundem Essen. Es ist mir ein Rätsel wieso man das Eine nicht ohne das Andere bekommt. Meine geliebten veganen Aufstriche müssen nicht aus, mit Lichtenergie angereicherten, Bärlauch hergestellt sein. Ich brauche kein Granderwasser oder Lebensmittel auf deren Einband der Barcode durchgestrichen ist. Die Barcodes, so glaubt man, seien Antennen die schlechte und bösartige Energien auf die Lebensmittel ununterbrochen abgeben. Lebensmittel für Dumme. So wie ich seither auf der Suche nach einer homöophatiefreien Apotheke bin, suche ich eine esoterik freien Biomarkt. Ich kann den Anblick der Bachblüten-Notfall-Bonbons nicht mehr ertragen. Wir gingen vorbei am Stand mit Hanf-Pesto, das von barfüssigen, mit Perlenketten behangenen und langbärtigen Männern verkauft wird. Wir kauften zwei Aufstriche und fühlten uns ein wenig dreckig dabei.

Ein paar Minuten ins Hotel zurück. Oft fuhren wir genau diese Straße entlang. Sie lag auf dem Heimweg aus der Altstadt zurück in unsere Wohnung. Wir beobachteten die Mengen an Touristen die die Hotels in den lauen Sommerabend verließen. Bepackt mit riesigen Rucksäcken und Einkaufstüten. Diese Straße lag direkt neben dem Schienennetz, welches zum zentralen Hauptbahnhof führt. Folgt man den Schienen Richtung München, führen sie direkt an unserer alten Wohnung vorbei. Direkt unter dem Fenster unseres Schlafzimmers. Das Geräusch von wuchtig vorbeitreibenden Zügen kann so schön sein, wenn man die letzten Momente wach, die Augen gerade geschlossen, das Rattern der Waggons, vorbei ziehen hört, während man neben der Person liegt die man liebt, für die man seine Geburtsstadt verlassen hat.

Wir hatten nur ein paar wenige Minuten zum ausruhen. Ein wenig frisches Wasser in mein Gesicht werfen bevor es weitergeht. Zwei Dinge standen noch auf unserer Liste. Wie sich herausstellte sind diese beiden Punkte im Jahr unserer Abwesenheit zu Monolithen verschmolzen. Das Burger-Restaurant Auguste ist, aus ihrer namensgebenden Straße, in das K4 gezogen.

Vielleicht macht das K4 das Leben in Nürnberg so beneidenswert. Kino, Ausstellungsräume, Konzertsäle und mehrere offene Werkstätten. In so einer haben wir unsere ersten Siebdrucke hergestellt. Eins der Sachen die ich immer schon probieren wollte aber nie dachte die Kompetenz dafür aufbringen zu können. Hier im K4 gibt es viele nette Menschen die einen einweisen in das jeweilige Handwerks. Mehr oder weniger kommt man dann zu dem Stück das man sich erträumt hatte hier zu erschaffen. Ich stelle mir vor, dass unsere Siebe immer noch in den Schränken der Siebdruckwerkstatt auf uns warten. Das wir durch dieses Artefakt nicht vergessen wurden. Irgendwann wurden sie bestimmt gefunden,mit dem Hochdruckreiniger bearbeitet, jede Farbe aus den Sieben herausi getrieben haben, jede einzelne kleine Masche des Trägers, und die Stadt wird nie gewusst haben wer wir waren, wohin wir verschwunden sind. In einem der Konzertsäle haben wir in einer Sommernacht getanzt. Der Raum war blau erhellt, und videoprojizierte Wale schwammen die Wände entlang. In diesem Blau fühlte ich mich erstaunlich jung, weit weg und doch Zuhause, frei von Problemen, Leid und Krankheit, bildete mir ein tanzen zu können. Es schien nicht von Gewicht. Es gibt zu wenig von diesen Momenten. Momente an denen man existiert, und das auf die schönste Art und Weise. Man vergisst wer man ist und wer man gerne sein will. Alles scheint in perfekten Klang, das Licht, die Musik und die Person an seiner Seite. Nun saßen wir nebenan in diesem großartigen Burgerrestaurant und hatten kaum Hunger. Doch wir mussten einfach uns einfach hier aufhalten.

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Unser Tag folgte einer akribisch geführten Liste. Dies musste so sein. Sonst hätten die Vorhaben begraben werden können, unter alten Erinnerung und Geschichten, alles was ich mit dieser Stadt je verband. Jeder schöne Moment der in meiner Abwesenheit zu einem weiteren Einschnitt wurde. Ich kann dies überwinden, es abheilen lassen. Doch dies scheint viel Zeit zu brauchen. Mehr Zeit als Kraft oder Willen. Zulassen muss ich es irgendwann ja doch.

Es gab da eine Band die ich zurück ließ. Es gab genau eine Probe und die Woche nach diesem Zusammentreffen kam die Entscheidung in den Norden aufzubrechen. Umso zerstörerischer hätte die Einladung zu einem Konzert dieser Band am Abend sein können. Dort würde mich eine alternative Zeitleiste auf der Bühne empfangen. Was hätte wenn, sein, können, wie. Wir trafen uns einmal in diesem Proberaum, draussen in Fürth Nord. Er lag in einem kleinen Industriegebiet. Der Größe Fürths angepasst. Eher eine Industriestraße. Ein Haus das wohl zu einem früheren Zeitpunkt ein oder zwei Firmen beheimatet hat. Nun sind dort kleine Proberäume für Bands. Der Raum, in dem ich an diesem Tag mein Equipment aufbaute, schien bei einem weiteren Gitarrenverstärker einfach aufgeben zu wollen. Aufgefüllt mir einem riesigen Schlagzeug-Set das nur eine weitere Bass-Drum und zwei kleine Tom-Toms von Neal Peart entfernt war. Es stapelten sich Synths die Wände hoch. Ich sollte heute die Percussions spielen. Auch wenn ich viel lieber Schlagzeug gespielt hätte, ich versuchte besonders experimentell zu wirken. Ich wusste sofort das diese Fassade fallen musste. Ein Pandeiro als Bassdrum, Snare, Hi-Hat und ein Ride. Trotz meinem virtuosen Kontrollverlust wollte ich nach dieser Probe weitermachen. Auch wenn ich wusste, dass die Anzahl der Tage abnehmen würde, an denen ich die Chance gehabt hätte, Teil einer Band sein zu können. Ich erinnere mich an die wunderbar stickige Sommerluft. Wir gingen an einem Sommertag und wir kamen an einem Sommertag wieder. Drei ganze Jahreszeiten ausgelassen in dieser Stadt. Als ob sie nie stattgefunden haben. Die Sommer in Nürnberg waren die schönsten meines Lebens. Nach der Probe standen wir in unseren verschwitzten T-Shirts einfach wortlos im Raum, der Nebel der Nebelmaschine schient zu erkalten aber nicht zu verfliegen, die Ohren piepsten einfach weiter und dem Druck der vergangenen zwei Stunden. Wir überlebten als Band, als Freunde, nur einen einzigen Abend, ein paar witzlose Stunden. Im Laufe der Zeit kommen immer wieder Bilder in mein Gedächnis. Es sind falsche Erinnerungen, ausgedachte Stunden mit Freunden. Es hätte alles so schön sein können.

Die Band ließ auf sich warten und wir spazierten kopflos über die zahlosen Pegnitz-Brücken. Das Licht fing an zu dämmern und das Restblau schimmerte im Fluß. Als wir am Konzertort angekommen war, schien alles so klar. Ich war nicht mehr Teil. Ich war nie Teil. Doch nun konnte nicht mal die Illusion überleben je Teil gewesen zu sein. Am Tisch Menschen mit denen man schon einmal zuvor an Tischen saß. Niemand konnte etwas sagen. Nichts, was der Situation gerecht gewesen wäre. Und da wurde es mir bewusst. Weg mit, der über allem schwebenden, Romantik von "Hier war alles besser", nichts würde mir meine Zeit in dieser Stadt rauben können. Doch so viel liegt noch vor mir. Die Zeit mir Ihr, meiner Frau. Der wahre Grund wieso ich Nürnberg so liebe.